Gastbeitrag von
Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes
in der Börsen-Zeitung, Sonderbeilage „Wirtschaftsraum NRW“

Corona, Angriffskrieg. Zeitenwende. Energieknappheit. Hohe Inflationsraten, explodierende Energiepreise und drohende Rezession. Das ist nur eine kleine Auswahl von Begriffen, die vor gut drei Jahren noch nicht zum aktiven Wortschatz vieler Menschen in Deutschland gehörten. Und hinzu kommt unausweichlich eine globale Erderwärmung mit dramatischen Konsequenzen auch auf regionaler, lokaler Ebene.

Heute, im Frühjahr 2023, blicken wir auf eine in vielen Lebensbereichen völlig veränderte Weltlage als noch zum Beginn des Jahrzehnts. Gewissheiten und Gewohnheiten haben sich innerhalb weniger Stunden in Luft aufgelöst. Anders als bei vielen abstrakten Bedrohungslagen der Vergangenheit mussten und müssen wir uns heute realpolitischen Herausforderungen stellen, für die es noch keine Antworten gab oder gibt. Doch auch wenn wir die Antworten kennen: Schaffen wir eine sich daraus ergebene Kurskorrektur? Schnell, unbürokratisch, verbindlich – und vor allem gemeinsam?

Das einzigartige Erfolgsmodell Deutschland hat traditionell eine hohe Exportorientierung in Verbindung mit einer hohen Energie- und Rohstoffabhängigkeit von Dritten. Wir hatten uns bestens eingerichtet in der arbeitsteiligen, globalisierten Welt. Doch schon die Corona-Pandemie und nun die gravierenden wirtschaftlichen Folgen des Krieges haben dies eindrucksvoll in Frage gestellt. Wichtige Rohstoffe sind nicht mehr im gewohnten Umfang verfügbar, Lieferketten längerfristig gestört.

Doch nicht nur der Blick auf die fragile Abhängigkeit von Autokraten und Diktatoren, sondern auch die Weichenstellung hin zu einer digital basierten, nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft setzt schnelle und nachhaltige Transformationsprozesse voraus. Das fordert natürlich die deutsche Wirtschaft. Sie hat bisher gezeigt, dass sie mit ihrer kräftigen Eigenkapitalsubstanz, hoher Flexibilität sowie Innovationskraft diese Herausforderungen bewältigen kann – an ihrer Seite stets die deutsche Kreditwirtschaft, gut aufgestellt durch ihre vielfältige Struktur. Doch klar ist: Vor Deutschland und den hier in Sicherheit lebenden Menschen liegen fordernde Jahre. Denn es wird kein Zurück zu überholten Rahmenbedingungen geben.

Nordrhein-Westfalen kennt Veränderung, Strukturwandel, Neuausrichtung, Innovationsfreude. Der von der Kohlekrise ab 1958 ausgelöste Strukturwandel im Ruhrgebiet bleibt einer der größten Transformationsprozesse in Nachkriegs-Deutschland. Weitere Herausforderungen sind gefolgt, neue Innovationsprogramme wurden aufgesetzt. Gemeinsam haben wir gelernt, mit diesen Herausforderungen umzugehen.

Wir als Sparkassen haben auch in diesen besonderen Zeiten sehr deutlich gemacht, dass wir unsere Verantwortung aktiv wahrnehmen. Mit Ausbruch der Corona-Krise im Jahr 2020 sind wir in Nordrhein-Westfalen zusammengerückt. Eine Task-Force wurde schnell und unkompliziert gegründet – in einer Konstellation, für die es keine Gebrauchsanweisung oder Richtlinie gab. Vertreterinnen und Vertreter aus den Landesministerien, der Vertretung der Deutschen Bundesbank in Nordrhein-Westfalen, den kreditwirtschaftlichen Verbänden, der NRW.BANK, den Handwerkskammern, den Industrie- und Handelskammern und weitere Expertinnen und Experten haben sich gemeinsam eingebracht.

Durch die unterschiedlichen Sichtweisen sind nicht nur Ideen gesammelt, sondern auch pragmatische Lösungsansätze und unterschiedlichste berechtigte Forderungen ausgiebig diskutiert worden. Regelmäßige Treffen sowie die intensive Beschäftigung mit den zahlreichen Themenstellungen hatten einen Raum, in dem die Teilnehmenden auch konzentriert auf die Rahmenbedingungen eingehen konnten, die eine Umsetzung zielführender Lösungen zu verhindern drohten.

Die kreditwirtschaftlichen Verbände haben in dem Zusammenhang mehrere Positionspapiere mit Lösungsvorschlägen zur Verfügung gestellt. Nordrhein-Westfalen hat auch in dieser langen und schwierigen Phase gezeigt, dass durch innovative Formen der Zusammenarbeit schnell Hilfe bereitgestellt wurde, Bürokratie beherrschbar war und gemeinschaftlich unumgängliche Risiken trotzdem tragbar wurden. Die Teilnehmenden haben sich mit ihrer jeweils individuellen Kompetenz und Expertise eingebracht – zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen.

So ist es gelungen, in einer Kombination von direkten Hilfen, regulatorischen Erleichterungen für Banken und Sparkassen, dem intensiven Zusammenspiel von Förderbanken und Hausbanken, eigenkapitalverstärkenden Programmen und größerer Flexibilität für die Kreditinstitute beim Umgang mit ihrer Kundschaft Spielräume zu schaffen, mit denen die Pandemie-Folgen deutlich gemildert werden konnten. Dieses unprätentiöse, zielgerichtete und auf gegenseitigem Verständnis fußende Zusammenspiel aller Akteure in NRW hat im wirtschaftlichen Kernland der Bundesrepublik Deutschland dafür gesorgt, dass wir gut durch die Corona-Krise gekommen sind.

Wir waren dankbar, dass wir die zu Corona-Zeiten gefundenen Strukturen schnell wieder aufnehmen konnten, als es galt, die Auswirkung des russischen Angriffskriegs auf Wirtschaft sowie Gesellschaft erneut rasch und unbürokratisch zu beleuchten, um Handlungsoptionen auszuloten. Auch hier gelang es, im konstruktiven Dialog dazu beizutragen, dass Maßnahmenpakete entwickelt werden konnten, die bislang dafür sorgen, dass die Auswirkungen für jeden einzelnen von uns – aber auch für Staat und Unternehmen – beherrschbar erscheinen. Wenn die Multi-Krise ein Gutes hatte, dann doch das Ergebnis, dass die handelnden Akteure in Nordrhein-Westfalen, in Politik, Wirtschaft und Kreditwirtschaft in den vergangenen Jahren ein vertieftes Verständnis und flexible Formen der Zusammenarbeit gefunden haben, die schnelle und wirksame Lösungsansätze möglich machten.

Es wäre deshalb geradezu töricht, würden wir jetzt bei der anstehenden Herkules-Aufgabe der Transformation unserer Wirtschaft insbesondere bei der Frage ihrer Finanzierung, diese in krisenhafte Zeiten gewachsenen Strukturen nicht weiter zu nutzen. Für diesen zielführenden Austausch besteht großer Handlungsbedarf. Denn es mangelt noch am koordinierten Zusammenspiel. Viele tatkräftige und motivierte Unternehmerinnen und Unternehmer wissen oftmals noch nicht, wie sie den Transformationsprozess für ihr Unternehmen sinnvoll gestalten sollen. Sie wissen nicht, worauf es in ihrer spezifischen Situation ankommt, beziehungsweise was der Gesetzgeber und immer mehr Menschen und Anspruchsgruppen von ihnen erwarten.

Durch die Zusammenarbeit mit international agierenden Konzernen wird immer mehr Regulatorik relevant, die Kreditinstitute müssen weitergehende und detaillierte Informationen im Zusammenhang mit Kreditanträgen erfragen. Dabei werden die gesetzlichen Auflagen nicht weniger. Und auch die Kreditwirtschaft selbst steht vor der Herausforderung, die regulatorischen Anforderungen umzusetzen, die Kundinnen und Kunden auf ihrem Weg zu beraten, im Rahmen der Gesamtbanksteuerung sicherzustellen, dass die Vorhaben umgesetzt werden können sowie auf Förderangebote hinzuweisen, die den Weg für die Kundschaft leichter machen.

Ich plädiere deshalb nachdrücklich dafür, dass alle relevanten Akteure im Transformationsland Nordrhein-Westfalen auch künftig auf Basis der in den vergangenen drei Jahren gefundenen Formate strukturiert und im gegenseitigen Respekt Lösungsansätze erarbeiten. Nicht umsonst hat im Rahmen dieser Zusammenarbeit das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) zu der Frage eine Studie erstellt, wie digitale und klimaneutrale Transformation der Unternehmen in NRW am besten gelingen kann.

Die Ergebnisse der Studie haben wir sowohl in die Politik getragen als auch mit allen Wirtschaftsverbänden in NRW diskutiert, bis hin zur Ebene der Betriebsberatungen in IHKs und Handwerkskammern. Die Studie liefert eine gute Grundlagenarbeit für die Dimension des Finanzierungsbedarfs als auch Ideen, mit welchen Instrumenten wir diesen immensen Bedarf decken können. Nur wenn alle Teilnehmenden jeweils die Rolle des anderen verstehen und sich über das gemeinsame Ziel verständigen, wird es gelingen, auch die Transformation schnell und erfolgreich umzusetzen.

Wir als Sparkassen sind dazu bereit. Wer, wenn nicht kommunale Sparkassen mit ihrer Fokussierung auf das Gemeinwohl, sind besonders qualifiziert, nachhaltig zu arbeiten und zu wirtschaften. Wer, wenn nicht lokale Sparkassen mit ihrer Sachkunde über die regionalen Gegebenheiten sowie Wissen über den Mittelstand sind besonders dafür geeignet, die notwendigen Strukturveränderungen, die Neugestaltung der Lieferketten, Dekarbonisierung und Energiewende entschlossen zu finanzieren. Aber auch hier wird deutlich, dass Wille allein nicht reicht. Es geht darum, die richtigen Rahmenbedingungen und Partnerinnen beziehungsweise Partner zu finden und zusammen zu bringen.

Die milliardenschweren Zukunftsinvestitionen sind nur umsetzbar, wenn auch privates Kapital mobilisiert werden kann. Deshalb ist es wichtig, Sparerinnen und Sparern eine Mitfinanzierungsmöglichkeit anzubieten und sie so stärker an den wirtschaftlichen Chancen der Transformationsfinanzierung teilhaben zu lassen.

Die ökologische Transformation kann zudem nur gelingen, wenn wir möglichst vielen Unternehmen den Weg von einer „braunen“ zur „grünen“ Industrie ermöglichen. Sparkassen, Landesbanken und Deutsche Leasing haben direkten Zugang zu drei Vierteln der deutschen Unternehmen. Wir verfügen in dieser Kundenklientel über das höchste Vertrauen sowie besondere Glaubwürdigkeit bei der Begleitung dieser Transformation. Wir müssen beziehungsweise wollen auch Unternehmen finanzieren, die heute noch nicht nachhaltig sind, aber sich nachvollziehbar auf den Weg gemacht haben. Wichtig ist allerdings, dass auch hier die entsprechenden Rahmenbedingungen existieren, um mit zielgericheter Finanzierung Transformation ermöglichen zu können.

All diese Themen sollten wir erörtern und zu Lösungen kommen. Strukturen, die sich in den Krisen bewährt haben, sind stabil und können eine gute Grundlage für zukunftsweisende Lösungen sein. Mit der zielgerichteten Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Kreditwirtschaft und den Vertreterinnen und Vertretern aus den unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Bereichen kann die Transformation gelingen. Gemeinsam!

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