Gastbeitrag von Michael Breuer,
Präsident des Rheinischen Sparkassen­ und Giroverbands,
Beitrag in der Börsen-Zeitung vom 27. September 2023

 

Selbstbewusst die Herausforderungen annehmen: Transformation Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Unsere Gegenwart ist geprägt von multiplen Krisen in einer immer schnelleren Ereignisdichte. Wir erleben täglich intensive und kontroverse Diskussionen und Meinungsaustausche. Und wir lesen und hören immer wieder auch negative Zukunftsprognosen, die geprägt sind von Untergangs-Szenarien und Pessimismus.

Ist es deshalb nicht an der Zeit, dass wir uns gemeinsam wieder auf einen fachlich fundierten und strukturieren Austausch besinnen? Natürlich ist ein Wettstreit der Argumente immer auch eine Zumutung für eine auf Konsens ausgerichtete Gesellschaft. Aber es wäre viel bedenklicher, wenn wir uns von einem konstruktiven Diskurs verabschieden.

Besonders die zurückliegenden vier Jahre seit dem Ausbruch der Corona­Pandemie haben gezeigt, dass die Menschen in Deutschland die Kraft und Kreativität haben, an den Herausforderungen zu wachsen – trotz aller Hindernisse und Komplexitäten. Natürlich war das Corona-Virus für uns alle eine neue Erfahrung, wir wussten nicht, wie wir mit der Pandemie umgehen müssen. Aber gemeinsam sind Lösungen gefunden worden, die Wirtschaft hat sich erholt. Die global spürbaren Folgen des verbrecherischen und menschenrechtsverletzenden Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine gilt es weiterhin zu überwinden.

In den vergangenen 15 Monaten hat sich die Zinssituation grundlegend geändert. Die Sparkassen haben ein Ende der Null- und Negativzinsphase lange angemahnt und mussten viele Jahre auf die Wende warten. Die Intensität des Zinsumschwungs kam für viele schneller als erwartet, aber die EZB musste konsequent auf die Rekordinflation reagieren. Inzwischen befinden wir uns wieder in einem „regulären“ Zinsumfeld, das dazu beiträgt, dass sich die Rahmenbedingungen für die Kreditwirtschaft normalisieren.

Das Geschäftsmodell der Sparkassen war und ist stabil und leistungsstark auf die Zukunft ausgerichtet. Das ist auch notwendig, denn jetzt muss im Vordergrund stehen, die Firmenkundinnen und -kunden hin sichtlich notwendiger Investitionen zu unterstützen, um die Transformation in Deutschland vorausschauend und mit Bedacht zu bewerkstelligen.

Die Sparkassen haben ihre Kundinnen und Kunden gut und intensiv durch die letzten Jahre – gerade vor dem Hintergrund der weltpolitischen Unsicherheiten und Krisen – begleitet. Sie waren und sind weiterhin wertvolle Ratgeber sowie verlässlicher Partner in ihrer Region, das hat sich durch ihr umsichtiges Handeln in Krisenzeiten deutlich gezeigt.

Jetzt heißt es, sich gemeinsam und selbstbewusst den dringenden Herausforderungen wie Inflation, Digitalisierung, Transformation sowie Nachhaltigkeit zu stellen. Die Verbundenheit der Sparkassen mit der Region führt dazu, dass die Unterstützung des Mittelstandes im Zentrum ihres Handelns steht – vor allem bei der Transformation hin zu einer zukunftsfähigen Ausrichtung.

Aber: Eine Region allein kann den Wandel nicht vollziehen bzw. sicherstellen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland seine Attraktivität behält. Das geht nur gemeinsam mit viel Engagement aller Agierenden und einer Rückbesinnung auf die traditionellen Stärken Deutschlands.

Wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverband in seiner aktuellen Veröffentlichung des S-Mittelstands-Fitnessindexes dargestellt hat, kann die große Mehrheit der mittelständischen Unternehmen im Jahr 2022 erhebliche Umsatz- und Gewinnsteigerungen verzeichnen. Die Umsätze stiegen im Durchschnitt um 14%, die Gewinne sogar um 17% Prozent. Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, dass es auch Branchen gibt – insbesondere die Bauwirtschaft, Gastronomie und der Einzelhandel – denen es wirtschaftlich nicht gut geht und die dringend unterstützt werden müssen.

Dabei gilt: Die Erfolgschancen und die Attraktivität Deutschlands werden durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie den Energiepreis, eine moderne Digitalisierungs-Infrastruktur und die Verfügbarkeit von qualifizierten, dringend benötigten Fachkräften massiv beeinflusst. Die aktuellen Diskussionen zeigen auch, dass es keine ewigen Gewissheiten gibt. Denn eins haben wir in den letzten Jahren gelernt: Schwierige Situationen verlangen mitunter nach schnellen, mutigen und manchmal auch unorthodoxen Entscheidungen, die man nicht immer im typischen VWL-Lehrbuch findet. Aber auch hier gilt: Handeln ist besser als abwarten.

Ein Energie-Sofortpaket, wie es auch Prof. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft vorschlägt, scheint mir aktuell ein sinnvolles Maßnahmenbündel, um in der gegenwärtigen Situation Handlungsfähigkeit zu zeigen. Dazu sollte die Absenkung der Stromsteuer genauso gehören wie eine Investitionsprämie, um das generelle Investitionsklima in der Bundesrepublik zu verbessern.

Industriestrompreis als wirksame Sofortmaßnahme, um Wettbewerbsfähigkeit zu stärken

Eine zentrale wirksame Sofortmaßnahme ist sicherlich die Einführung eines Industriestrompreises. Ein international wettbewerbsfähiger Industriestrompreis schafft für die deutsche Wirtschaft nicht nur eine notwendige Planungs- und Investitionssicherheit, sondern sichert auch aktuell die Konkurrenzfähigkeit im globalisierten Wettbewerb. Um den Wirtschaftsstandort Deutschland für die Grundstoffindustrie weiter attraktiv zu halten und um eine zunehmende Deindustrialisierung der deutschen Wirtschaft zu verhindern, darf die notwendige Dekarbonisierung der Wirtschaft nicht mir übermäßig hohen Stromkosten die Produktion verteuern.

Ein regulierter sowie befristeter Industriestrompreis kann dazu beitragen, strategische Investitionen in zukunftsgerichtete und nachhaltige Technologien zu sichern – und erfolgreiche Unternehmen vor Ort zu halten. Dadurch werden Arbeitsplätze in den Industrieunternehmen, aber auch in der Zulieferindustrie gesichert und die Konsumfähigkeit ausgebaut. Denn ein wichtiges Kriterium für die Standortentscheidungen von Wirtschaftsunternehmen bleibt eine langfristige Produktions- und Energiekostenperspektive.

Eins muss jedoch auch klar sein: Der Industriestrompreis kann nur ein zeitlich begrenzter Anreiz in Formeines sogenannten „Brückenstrompreises“ sein. Er soll den Unternehmen temporär Zeit verschaffen, bis ausreichend günstiger Strom aus regenerativen Energiequellen für die Industrie verfügbar ist. Ein Ausstiegszenario muss vorliegen.

Denn am Ende muss eine Marktwirtschaft selber einen wettbewerbsfähigen Strompreis generieren. So haben zum Beispiel der beschleunigte Ausbau von erneuerbaren Energiequellen und Stromnetzen an der Strombörse grundsätzlich eine preissenkende Wirkung. In Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung und klarer Ausstiegskriterien müssen die noch offenen Fragen beantwortet werden. Diese gilt es schnell und in einem gemeinsamen Konsens zu beantworten und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

Wichtig ist: Die Rahmenbedingungen für den Industriestrompreis müssen sehr transparent festgelegt werden und ein Konsequenzen-Management bei Missbrauch muss auch umsetzbar sein. Denn natürlich wird sich bei einer solchen staatlichen Maßnahme die Gerechtigkeits-Frage stellen, da eben nicht alle von potenziellen Erleichterungen profitieren werden. Aber wir müssen die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes im Auge behalten. Dem Mittelstand und den Handwerkerinnen und Handwerkern ist nicht geholfen, wenn die großen Industriekonzerne ins Ausland abwandern.

Denn sicher ist: Der Wettbewerb um Unternehmen hat eine neue Dimension erreicht. Viele Länder bieten Subventionen und Vergünstigungen an, damit Unternehmen in ihr Land kommen. Und ist ein Unternehmen erst einmal abgewandert, ist es aufgrund des langen Investitionshorizonts sehr unwahrscheinlich, dass dieses wieder nach Deutschland zurückkommt.

Wir müssen den Wirtschaftsstandort langfristig wettbewerbsfähig, attraktiv und innovativ gestalten, um nicht nur eine Abwanderung der Industrie zu verhindern, sondern auch neue Unternehmen und Branchen anzuziehen. Nur im gemeinsamen Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und mit der Rückendeckung der Menschen ist es möglich, die richtigen Ideen und Strategien für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort zu entwickeln.

Der jetzt von Bundeskanzler Scholz geforderte Deutschland-Pakt ist eine Chance, aber er wird nur gelingen, wenn alle beherzt anpacken. Die Sparkassen werden ihren Beitrag leisten. Nicht alle Risiken werden kalkulierbar sein. Doch schon in der Vergangenheit haben wir bewiesen, dass wir das Kreditgeschäft vor Ort sehr gut beurteilen können – weil wir unsere Kundschaft besser kennen als andere und somit die notwendigen und zukunftsfähigen Investitionen fördern und unterstützen können.

PDF-Download: Beitrag in der Börsen-Zeitung (27.09.2023)


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